Dieses Audio wurde gesprochen von: Vivi
KAPITEL 13
Die Stimme des Gewissens
Angst. Ja, ich hatte Angst. Wie konnte es nur so eskalieren? Wo fange ich an?
Einer unserer Mitarbeiter wurde entlassen, da er geheime Informationen weitergegeben hatte. Mein Chef war sauer. Sehr, sehr sauer. Denn anscheinend konnten diese Informationen uns in ernsthafte Gefahr bringen.
Ich glaubte, mit der Kündigung sei alles geklärt. Privat hielt ich noch Kontakt mit dem Exmitarbeiter, denn ich hoffte, ihm ein wenig aus dem Schlamassel heraus helfen zu können, in den er geraten war. Und das war durchaus kompliziert.
Doch es blieb nicht dabei. Manche Funksprüche meines Chefs klangen seltsam. Ob ich nicht Lust hätte, dem Exmitarbeiter die Bremsschläuche durchzuschneiden. Ich nahm es als einen Scherz auf, wollte es nicht anders wahrnehmen, überhörte die Sprüche.
Bis zu dem einen Tag im Herbst. Ich war kurz von Wien Mitte aus zum AKH gefahren, der Kommandant schulte einen neuen Praktikanten ein und brauchte die Schlüssel zum alten Zivibomber, die ich noch bei mir hatte. Der Kommandant brachte mich gerade zurück nach Wien Mitte, da traf auch mein Chef ein. Er ging schnurstracks zu einer Polizeistreife.
In dem Moment rief mich besagter Exmitarbeiter an.
“Er hat mich angefahren und von der Straße in den Kanal gedrängt. Ich glaube, er wollte mich umbringen.”, erzählte er aufgeregt. Ich brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass es um meinen Chef ging.
Was tun? Ich wusste es nicht. Die Information erschien mir so ungeheuerlich, so entsetzlich. Konnte das sein? Mein Chef – natürlich, er war manchmal etwas aufbrausend – aber ein versuchter Mord?
Er war in der letzten Zeit generell etwas seltsam. Mal gut gelaunt mit einem Kinderlied auf den Lippen, mal tief deprimiert, weil es mit der Firma nicht so lief, wie geplant. Betrunken rief er mich an, er sei “Sterne anschauen” und dann hörte ich nur, wie er “Au” schrie und rief, er falle den Berg herunter. Sterne – das klang nach dem Observatorium und kaum stieg ich ins Auto auf dem Weg dorthin, ploppte eine automatische Hilfe-SMS auf meinem Handy auf mit eben jenem Ort. Anscheinend hatte mein Chef auch noch andere Notfallkontakte in seinem Smartphone hinterlegt, denn oben auf dem Parkplatz angekommen traf ich auf den Piloten. Ich kannte ihn von einigen Rundflügen zusammen mit der Lilie und wusste, dass auch mein Chef einen ganz guten Draht zu ihm hatte.
Gemeinsam starteten wir die Suche. Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr hatte ich bereits alarmiert. Der Pilot entdeckte den Chef in einer Schlucht unterhalb des Observatoriums. Soweit durch das Fernglas erkennbar, bewegte er sich noch leicht.
Die Rettung gestaltete sich schwierig, der Sanitäter musste mit einem Hubschrauber abgeseilt werden.
Zum Glück erholte sich mein Chef recht schnell von dem Unfall. Aber dann kam eben die Sache mit dem angefahrenen Motorrad.
Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, doch mein erster Gedanke war es, mehr Informationen zu bekommen, um sicher zu sein. Darum lief ich ebenfalls zu der Streifenpolizistin und bekam einen Teil des Gespräches mit. Mein Chef erzählte etwas davon, dass ein Motorradfahrer sehr rücksichtslos unterwegs sei und sein Auto geschrammt hatte, er den Fahrer aber nicht erkennen konnte und der weitergefahren sei. Er wolle Anzeige gegen Unbekannt erstatten.
Ich fragte ihn später noch einmal, ob sich dabei jemand verletzt hätte. Mein Chef meinte nein, der sei ja davongefahren und er könne ja nicht jedem Motorrad in Wien hinterher fahren. Sein Tonfall machte mich stutzig. Er klang anders als sonst. Ähnlich pampig, wie wenn die Polizei ihn von einer Einsatzstelle wegschicken wollte. Aber da war noch so ein merkwürdiger Anteil, als wolle er sich verteidigen.
Innerlich erschauerte ich. War es wahr? Mir fielen die Sprüche wieder ein. Und der Exmitarbeiter war sich sehr sicher, meinen Chef erkannt zu haben und auch wenn er zuvor Fehler gemacht hatte: In dem Fall würde er nicht lügen.
–
Meine Befürchtungen erhärteten sich, als mein Chef mich fragte, ob jemand Leitendes einer gewissen kriminellen Organisation erreichbar wäre. “Ich muss nämlich noch eine Rechnung abschließen.” Was für eine Rechnung? Es würde wohl kaum um einen Artikel gehen.
Ein Kampf tobte in mir. Ein Teil wollte das alles nicht glauben, einfach ignorieren und weitermachen. Ein Teil war entsetzt, dass mein Chef zu so etwas fähig zu sein schien. Der wohl größte Teil in mir wollte nicht Schuld am eventuellen Tod eines Menschen sein. Und dann war da noch ein Teil, der Angst hatte, die Wut seines Chefs auf sich zu ziehen, sollte davon etwas ans Licht kommen.
In meiner Not suchte ich Hilfe beim alten Hasen – bei wem sonst. Um den hellhörigen Ohren meines Chefs zu entgehen, fuhren wir ziellos durch die Stadt und unterhielten uns währenddessen im Auto. Ich erzählte ihm die ganze Misere, angefangen mit dem Datenleak durch den Ex-Mitarbeiter bis hin zu der merkwürdigen Aussage meines Chefs.
Zunächst hörte der alte Hase geduldig zu – eine Eigenschaft, die ich sehr an ihm schätze. Dann stimmte er mir zu, dass das eine sehr schwierige Situation sei und dachte nach. Gemeinsam gingen wir die Möglichkeiten durch. Was war am Besten? Was war am sichersten? Schließlich war klar: Wir mussten der Polizei Bescheid sagen.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend fuhren wir zum SPK1. Über Funk wusste ich, dass mein Chef gerade in den Bergen wanderte. Trotzdem schaute ich immer wieder nervös durch die große Glastür des Stadtpolizeikommandos, durch die mich jeder von draußen sehen konnte. Ich hatte Angst, dass mein Chef jeden Moment vorbeikommen könnte. Er würde mich hier sitzen sehen und sofort eins und eins zusammenzählen können. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte schließlich ein Polizist auf. Gemeinsam mit dem alten Hasen als emotionale Unterstützung an meiner Seite erzählte ich kurz, was das Problem war. Der Polizist nickte knapp, dann holte er das Landeskriminalamt dazu. Drei Beamte standen vor mir und ich musste das ganze noch einmal ausführlich von vorne erzählen.
Man sagte mir, ich solle mir nichts anmerken lassen und mich so weiter verhalten wie bisher, man kümmere sich darum. Dann konnten wir wieder gehen.
Die Erleichterung darüber, nicht geschwiegen zu haben, wurde jedoch von der Sorge, mein Chef könnte das herausfinden, überschattet. Wir trafen bei Wien Mitte auf ihn. Er fragte, was wir gemacht hätten. Zum Glück hatten sich der alte Hase und ich uns schon auf eine Geschichte für diese Frage geeinigt. Ich spielte, als wäre nichts, als wäre alles ganz normal. Ich spielte um mein Leben.
Später am Abend kam die Polizei vorbei. Voll ausgerüstet mit Langwaffen und schusssicheren Westen. Sie seien im Kampf gegen Straßenkriminalität unterwegs, erklärten sie und nahmen meinen Chef für ein Gespräch mit. Mir rutschte das Herz in die Hose. Soviel zum Thema “unauffällig”.
Der alte Hase versuchte mich zu beruhigen. Und so machte ich einfach weiter. Ruhig bleiben. Weiteratmen, weiterleben. Ein bisschen kamen mir die Beruhigungsübungen zugute, die ich in den Therapiestunden gegen meine Feuerphobie gelernt hatte. Trotzdem war mir alles andere als entspannt zumute. Zumal mich mein Chef kurz darauf ansprach, ob ich wisse, was die gewollt haben. Und dann fragte er in einem Cafe einen Mann, ob ihr Telefongespräch auch sicher niemand gehört habe. Da wusste ich es sicher: mein Chef hatte einen Mord in Auftrag gegeben. Denn dieser Mann gehörte zu jener kriminellen Gruppe, mit der mein Chef noch eine “Rechnung” offen hatte. Er gehörte zu den schwarzen Hyänen.