Dieses Audio wurde gesprochen von: Vivi
KAPITEL 15
Die Welt dreht sich sowieso
Der Sonnenaufgang weilte nur kurz, denn Nebel füllte die Hochhausschluchten. Ich stand im Büro am Fenster und starrte nachdenklich nach draußen. Es sah trist aus – nicht nur draußen, auch für die AX Media Group.
Mein Chef hatte schon längst die Hoffnung verloren. Ob ihm seine Position zu Kopf gestiegen war? Ein weiterer Kollege kündigte. Aber mein Chef bestand darauf, ihn zuerst zu entlassen. Damit es auch ja von seiner Seite ausginge. Ich konnte nur noch den Kopf schütteln. Musste man denn immer zeigen, dass man der Stärkere war?
Kurz darauf die nächste Kündigung. Die hing zwar nicht mit den anderen zusammen und war einvernehmlich – doch das trug nicht unbedingt zur Entspannung der Situation bei. Wir mussten neue Schritte gehen. Eine Korrektur weniger, um überhaupt noch Artikel veröffentlichen zu können. Mein Chef haderte lange damit, bei der Qualität Abstriche machen zu müssen, doch ihm blieb keine Wahl. Er begann, Fahrrad zu fahren, zur Entspannung. Ich war froh, denn das war definitiv gesünder als Alkohol. Verwirrend, denn obwohl ich wusste, dass mein Chef ein potentieller Mörder war, mochte ich ihn trotzdem und wollte, dass es ihm gut ging.
Er verhielt sich so normal, scherzte wie immer, redete wie immer. Ich begann an mir selbst zu zweifeln. Hatte ich überreagiert? Natürlich mochte mein Chef den Exmitarbeiter nicht, aber Mord?
Ich fragte ihn danach, ob er immer noch so sauer auf denjenigen sei. Seine Antwort: „Ich fände es nicht schlimm, wenn sich die Welt für ihn gar nicht mehr dreht. Den wird sicher niemand vermissen.“
Das war eine Meinung, aber doch noch lange keine Drohung. Aber der alte Hase meinte, das sei ja nur logisch. Schließlich hatte die Polizei vor kurzem nachgefragt. Da musste er misstrauisch und vorsichtiger geworden sein. Aber das LKA ermittelte und irgendwann würden sie schon etwas finden. Ich hoffte, dass es bald geschah. Wenn dem so war, dann wollte ich es schwarz auf weiß. Keine dauerhaften Sorgen, kein Misstrauen im Hinterkopf, kein Heile-Welt mehr spielen.
Doch wie sollte man ihn überführen? Auch wenn er einen Auftrag getätigt haben sollte – die schwarzen Hyänen würden dicht halten. Der einzige Schwachpunkt war mein Chef selbst und der würde sich wohl kaum selbst verraten.
Eigentlich lächerlich, dass ich mir so viele Sorgen um mich selbst machte. Der Exmitarbeiter war schließlich das Ziel. Ihn wollte mein Chef loswerden, nicht mich.
Nebenbei lief das Leben wie gewohnt weiter. Ich lernte eine junge Dame bei Wien Mitte kennen, ihrem Wesen nach werde ich sie, in freundschaftlicher Art, Xanthippe nennen. Für alle, die entweder Bildung oder Google besitzen, möchte ich hinzufügen, dass sie sich wohl in den Kopf gesetzt hatte, den alten Hasen zu ihrem nächsten Sokrates zu machen.
Wir unterhielten uns über einen gemeinsamen alten Bekannten, den Geschäftsmann, mit dem Xanthippe ähnliche Erfahrungen gemacht hatte wie ich. Nur dass es bei ihr etwas weiter ging, und sie eine Zeit lang mit dem Geschäftsmann zusammen gewesen war. Mein Chef war ebenfalls dort und da Xanthippe nicht sicher war, wie es für sie beruflich weitergehen sollte, widmete er sich einer ausführlichen Berufsberatung. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, das Gerede plätscherte so friedlich dahin. Kaum zu glauben, dass dieser Chef, der gerade so lieb und freundlich plauderte, so finstere Pläne haben könnte.