Dieses Audio wurde gesprochen von: Andi

KAPITEL 2

Rettet die Rettung

 

Auch wenn ich all mein Erlebtes möglichst für mich behalten wollte, so wollte ich dieses neue Leben nicht auf Lügen aufbauen. Und so beschloss ich, absolut ehrlich bei meiner Bewerbung zu sein. 

Ich hatte inzwischen festgestellt, dass ich der Vergangenheit doch nicht entfliehen konnte. Im Henhouse mit dem Kavalier bekam ich eine Panikattacke. Die lodernden Flammen des Grills erinnerten zu sehr an das brennende Haus. Zum Glück lief es recht glimpflich ab und die Mitarbeiter vor Ort reagierten sehr verständnisvoll und bauten sogar draußen einen Klapptisch und Stühle auf, damit wir dort weiter essen konnten.

Aber ich musste mir nach diesem Ereignis eingestehen: Feuer ist für mich ein Problem.

Und genau das erzählte ich auch dem Kommandanten der Berufsrettung und dem Chefarzt beim Vorstellungsgespräch. Mir war das Risiko bewusst, und ich wüsste selbst nicht, ob ich mich eingestellt hätte. Ein Rettungssanitäter, den man nicht zu Wohnungsbränden, Tankstellenexplosionen oder brennenden Autowracks schicken konnte, war doch sehr eingeschränkt in seiner Handlungsfähigkeit. Aber es war schon in Deutschland mein Ziel gewesen, Menschen zu retten. Auch wenn dieser Traum damals mitsamt meinem restlichen Leben in die Brüche ging, wollte ich ihn nicht aufgeben.

 

Sie gaben mir die Chance. Ich glaube, ich war noch nie so glücklich gewesen, wie an diesem Tag, als man mich ins Büro rief und die Zusage verkündete.

Ich hatte es geschafft, ich war angenommen worden.

 

Es folgte eine spannende Zeit der Ausbildung. Ich lernte viel, auch viele Unterschiede zwischen dem österreichischen und dem deutschen Rettungswesen. Die Einsätze waren vielseitig und ja, natürlich kam ich auch an meine Grenzen. 

Noch in meiner Praktikumszeit wurden wir zu einem unklaren Einsatz alarmiert. Die Leitstelle hatte so gut wie keine Informationen bezüglich des Unfalls.

Am Berufungsort angekommen, lag vor uns ein ausgebranntes Auto – Folge einer explodierten Tanksäule. Flammen waren keine mehr zu sehen, doch der Geruch von geschmolzenem Gummi, rauchigem Metall, Hühnchen und verbranntem Öl füllte noch immer die Luft. Aber das Heftigste waren wohl die schwarz krustigen Überreste eines menschlichen Körpers.

Der Geruch stieg mir in die Nase und plötzlich mischte er sich mit diesem einen Gestank von schwelendem Holz, der mich oft in meinen Albträumen verfolgte.

Mein Blick verschwamm. Der Körper des toten Autofahrers verformte sich, das Gesicht nahm die Züge von Moritz an. Man hatte mir zwar nie die Leiche meines kleinen Bruders gezeigt, doch mein Gehirn hatte sich längst ein Bild aus Beispielfotos von Verbrennungen und dem Aussehen von Moritz zusammengepuzzelt. Und dieses Bild tauchte nun so lebendig vor mir auf, dass ich vor Schreck erstarrte. In einem verzweifelten Versuch, der pochenden Panik zu entfliehen, rannte ich los, in den nahegelegenen Wald. An einen Baumstamm gelehnt, sank ich auf den Boden und versuchte, meine Atmung zu kontrollieren. Irgendwo wusste ich, dass dieses Bild nicht real war, doch dieses Wissen schien nicht in dem Teil meines Kopfes anzukommen, wo es gebraucht wurde.

 

Es tut mir heute noch leid, wie mein Kollege völlig verblüfft an der Einsatzstelle zurückblieb und schließlich der Leitstelle funkte, seine Praktikantin sei soeben im Wald verschwunden.

Der Kommandant der Berufsrettung hörte den Funkspruch mit, wusste sofort Bescheid und holte mich persönlich ab. Vor Scham wäre ich am liebsten im Boden versunken. 

 

Solche Erlebnisse sind alles andere als schön. Aber sie haben mir gezeigt, dass ich Schwächen haben darf und das in Ordnung ist, und dass es Menschen gibt, auf die ich mich verlassen kann. 

 

Mit der Zeit entwickelte ich Strategien, um Feuer zu umgehen. Wenn es sich doch nicht ganz vermeiden ließ, stellte ich meinen RTW als Barriere zwischen mich und das Feuer und rechnete im Kopf Matheaufgaben, um mich abzulenken. 

Eine ganze Weile lief es ganz gut auf diese Art und Weise. Bis eines Tages in der Tiefgarage des AKHs ein Auto direkt neben mir in Flammen aufging. Ich weiß nicht, warum, aber dieser plötzliche Brand warf mich unvorbereitet zurück in jene Nacht. Auf einmal stand ich wieder in meinem Zimmer, im dunkelblauen Schlafanzug. Der alarmierende Geruch von Feuer in der Luft, das ungewöhnliche Knistern hinter der Tür, der einzige, laut schreiende Gedanke in meinem Kopf: Raus! 

Ich rannte los, überall Rauch, ich streifte die Flammen am Treppenhaus. Die Hitze nahm ich kaum wahr, zu unwirklich erschien sie mir und das Adrenalin ließ mich keine Schmerzen oder Erschöpfung spüren. Ich rannte, rannte immer weiter, hielt draußen nicht an, hörte nicht die Rufe der Nachbarn, lief immer weiter, bis mich jemand am Arm packte, schüttelte, anschrie und zur Besinnung brachte. Zumindest damals. Nun rannte ich quer durch Wien, das sich für mich in die Straßen von Rathen verwandelt hatte, bis ich stolperte, hinfiel und verschreckt sitzen blieb. Sofort kamen mir Moritz und meine Eltern in den Sinn.  Ich musste doch Hilfe holen, sie schliefen doch eine Etage über mir, mitten im Feuer. Die Angst war wieder da, die überwältigende Panik vor dem Gedanken.

Im Reflex muss ich wohl den roten Notfallknopf am Funkgerät gedrückt haben. In der allgemeinen Aufregung im Krankenhaus, aufgrund des Feuers, war mein Verschwinden noch nicht aufgefallen, nun begann eine neue Hektik. Die eintreffenden Einsatzkräfte konnten nicht viel mit meinen halben Satzfetzen anfangen, sie suchten einen Hausbrand in Wien, während ich noch immer im Kopf in einem Feuer in Rathen feststeckte.

Mein Flashback verursachte einen Großeinsatz mit Feuerwehr, Rettung und Polizei, bis schließlich der Chefarzt dem ganzen auf die Spur kam. 

Es war wie ein langsames Wachwerden nach einem verwirrenden Fiebertraum, als ich allmählich wieder klar denken konnte. Ich konnte mich nur bruchstückhaft daran erinnern, was davor und währenddessen passiert ist. 

 

Aber danach stand fest: So kann es nicht weitergehen. Gespräche mit Psychologen, Konfrontationstherapie … Der Kopf ist wie das Internet: Was einmal drin ist, bekommt man nie wieder ganz heraus. Wir vergessen nicht, schieben nur Dinge ins Unterbewusstsein und zu ungünstigen Zeitpunkten können sie wieder hervorbrechen, wie ein Geysir, der sein Wasser zu willkürlichen Zeiten ausspeit.

 

Zwei Personen, die sich viel Mühe dabei gaben, waren zum einen der Chefarzt des AKHs, der mit mir immer wieder zu Brandeinsätzen fuhr, mich in sicherem Abstand parken ließ und so weit mit mir mitging, wie ich mir zutraute.

 

Zum anderen war es Hansen, aber Hansen ist eigentlich ein Kapitel für sich.