Dieses Audio wurde gesprochen von: Aldin

KAPITEL 23

Sesshaft werden

 

Die Katze war von uns die erste, die sich ein eigenes Haus kaufte. Sie schuftete dafür Teilzeit auf einer Baustelle, um das von der Regierung beschlagnahmte Haus ihrer bereits verstorbenen Oma zurückzukaufen. Die Katze musste eine sehr interessante Oma gehabt haben. Ich hatte sie zwar nie persönlich kennengelernt, aber die Geschichten über sie waren schon sehr abenteuerlich und reichten von “Heilkräutern” im Garten, gruseligen Bildern auf dem Dachboden bis zu vermuteten Kontakten zu damaligen Mördern.

Die perfekte Großmutter für einen grundlegend ängstlichen Menschen, wie die Katze eben einer war. 

Sie war aber keinesfalls feige, nur eben ein wenig vorsichtiger als der Durchschnitt und dadurch war ich plötzlich die Mutigere in unserer Gruppe. Mit dieser Rolle musste ich erst einmal zurecht kommen und oft war ich nicht die Beschützerin, die ich gerne hätte sein wollen.

Wenn es die Arbeit zuließ und ich nicht im Rettungsdienst war, dann waren wir im Freundeskreis meist über Amateurfunkgeräte verbunden und hielten uns so gegenseitig auf dem Laufenden. Herzschmerz-Funk, so hatten wir ihn getauft, denn wir hatten damit angefangen, als sich die Katze zum ersten Mal mit Engel getroffen hatte

 

Eines Tages erzählte mir die Katze über diesen Funk folgendes Ereignis: Sie war wie immer auf der Baustelle unterwegs gewesen, um sich ihr Haus zu erarbeiten. Es war eine eher abgelegene Baustelle und der Bauherr hatte es wohl nicht für nötig gehalten, hier eine Bautoilette zu errichten. Bevor sie sich also hinter einem Busch womöglich eine Blasenentzündung holte, es war schließlich bereits Herbst, lief sie zur nahe gelegenen Wohnsiedlung. Sie hatte Glück, wobei sich das im Nachhinein eher als Pech herausstellte. In einem Vorgarten veranstalteten mehrere Leute gerade eine kleine Grillparty. Die Katze fragte, ob sie die Toilette benutzen dürfte und bekam die Erlaubnis. Aber während sie dort dann saß, schauten durch das Fenster, das ungünstiger Weise keine Jalousien besaß und natürlich im Erdgeschoss lag, zwei der Herren aus dem Garten herein. Entrüstet berichtete sie mir davon im Funk, denn die Männer seien wohl nicht nur zufällig gerade dort vorbeigekommen, sondern hätten sie regelrecht beobachtet. Diese Frechheit wollte ich so nicht stehen lassen. Ich fuhr mit meinem kleinen Moped zu der Adresse, die mir die Katze genannt hatte. Sie hatte das Haus so schnell wie möglich verlassen und wartete an der Straße auf mich. Ich stürmte in den Garten, ignorierte den Rettungsdienst und stellte einen der Herren zur Rede. Die Katze versteckte sich schräg hinter mir und flüsterte, ich solle aber nicht zu streng sein.

Ich würde nun gerne schreiben, wie ich die Kerle verbal zur Schnecke gemacht habe, doch das kann ich leider nicht, da es nicht der Wahrheit entspräche. Natürlich äußerte ich meine Empörung und forderte, das sie sich bei der Katze entschuldigten. Sie kamen jedoch mit einigen wirren Ausreden, entschuldigten sich auch nicht und da mir die Schlagfertigkeit fehlte, gingen wir, ohne wirklich etwas erreicht zu haben. Vielleicht kann man zu meiner Ehrenrettung sagen, das ich lediglich die Situation nicht weiter eskalieren lassen wollte, da nebenher die Rettung einen der Grillgäste reanimierte und das sehr unpassend gewesen wäre. Doch insgeheim wünschte ich mir in dem Moment jemanden wie den weißen Tiger, der schon allein mit seiner Anwesenheit Leute zum schweigen brachte. Später traf ich einen der Herren tatsächlich wieder, er arbeitete bei der Polizei und erzählte mir während einer Besichtigung der Rettungswache, wie viele Hundewelpen und Delfine er schon gerettet habe. Ich strafte ihn mit dem größtmöglichen Desinteresse, das ich nur aufbringen konnte, ohne die Regeln der Höflichkeit zu verletzen, und das ist kein besonders guter Kompromiss, da ihn keiner bemerkt.

 

Doch zurück zu den Häusern: Natürlich wollte ich gerne in der Nähe meiner besten Freundin wohnen, zumal sich auch Frechdachs in der Umgebung ein Haus angeschaut hatte, das zum Verkauf stand. Die Drachenzähmerin fand die Gegend auch sehr schön und wollte ebenfalls nicht zu weit weg vom Zentrum Wiens wohnen. Ich traf eine Vorauswahl an möglichen Immobilien, dann trafen wir uns zur Besichtigung. Für uns beide war klar, dass wir einen großen, grünen Garten haben wollten. Die zugepflasterten Gärten hinter mancher schönen Villa gruselten mich mehr als die Oma der Katze. „Hier könnten auch Blumen stehen.“, schienen mich die Betonplatten anzuschreien wie aufdringliche Werbeplakate. Da sie gerne schwimmen ging, wollte die Drachenzähmerin zudem gerne einen Pool im Garten, während mir vor allem die Gebäudeform wichtig war. Nicht so ein moderner Kastenbau, sondern ein klein wenig verwinkelt, zweistöckig und mit ein paar liebenswerten Details. Tatsächlich kamen vier Gebäude für uns in Frage und zur Preisanfrage an die Makler. Auch wenn die Kosten etwas über unserem geplanten Budget lagen, entschieden wir uns schließlich für unseren einstimmigen Favoriten: Zwei Häuser weiter vom Wohnort der Katze stand es, von mittlerer Größe, ein bisschen nach hinten versetzt und mit rauem, grau-weißem Putz verputzt. Links gab es eine große Garage mit einem überdachten Durchgang zum Garten, der ans Haus anschloss. Die zweite Etage besaß eine etwas kleinere Grundfläche und einen winzigen Balkon, der wie der Ausguck eines Burgfrieds auf die Straße schaute. Mannshohe Hecken schirmten das Grundstück vor Straßenlärm und unliebsamen Blicken ab. Der Garten war riesig, mit einem nierenförmigen Pool, einem wunderschönen Gartenhäuschen, das halb von Efeu überwachsen war und einer Terrasse mit hölzernem Boden. Wir hatten uns beide in das Haus verliebt.

Während der Besichtigung tauchte im Übrigen der weiße Tiger auf, um einen kurzen Plausch mit der Drachenzähmerin zu halten. Er musste sich jedoch rasch wieder verabschieden, da ein Einsatz rief. Später am Abend rief er noch an, dass wir beide vorsichtig sein sollten. Es seien einige finstere Gestalten aus dem Gefängnis entkommen, für die zwei junge Frauen allein unterwegs zwei hervorragende Geiseln abgeben würden. Ich fand es sehr liebenswert, wie er sich um seine Kollegin sorgte, auch wenn ich seine Befürchtung eher weniger teilte. Wien war groß, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Verbrecher ausgerechnet in diese Wohngegend verirrten, war gering. Doch die Voraussicht des weißen Tigers sollte auf gewisse Weise recht behalten.