Dieses Audio wurde gesprochen von: Andi & Rebekka

KAPITEL 24

Löwenmutterherz

 

Endlich hatten die Drachenzähmerin und ich unser Haus gekauft. Leider hatte sie nicht viel Zeit und musste schon bald darauf wieder arbeiten. Doch ich konnte mich gemütlich dem Einrichten meines Zimmers widmen. Zumindest war es gemütlich, bis aus dem Funkgerät, das ich neben mich auf die bisher einzige Kommode im Raum gelegt hatte, Mützes Stimme plärrte: “Ist die Polizei denn jetzt schon da?”

Perplex hielt ich inne. Polizei? Bei wem? Und warum? Ich fragte nach. Die Nachricht war erschütternd. Die Katze war in ihrem eigenen Garten überfallen worden, mit vorgehaltener Waffe hatte man ihr einen Sack über den Kopf gezogen und ihr ganzes Bargeld, das Handy und auch das Funkgerät abgenommen. Was aber noch viel schlimmer war: Sie nahmen Engel mit. 

Die Katze schaffte es, sich selbst von dem Sack zu befreien und zufällig kam die Lilie kurz darauf vorbei, um ihre aufgelöste Freundin im Vorgarten zu finden. Die Polizei wurde informiert. Aufgrund extremer Unterbesetzung dauerte es jedoch ewig, bis diese eintraf. Inzwischen war Mütze schon längst da und ich rannte die wenigen Meter von meinem Haus zu dem der Katze. Stupides warten konnte keiner von uns gut haben. Darum fuhr Franz zum AKH, um zu schauen, ob Engel verletzt eingeliefert worden war. Vor Ort fand er sogar zwei Polizisten, die er dann weiter zu uns schicken wollte. Doch die hatten bereits mit einem Schusswechsel in der Nähe des Krankenhauses zu tun. 

 

Ich schnappte mir mein Moped und raste, sofern man teilweise 10 km/h bergauf als rasen bezeichnen kann, in den Norden. Kreuz und quer über einige Waldwege, hinauf zum Observatorium und wieder zurück zum Haus der Katze. Etwas auffälliges konnte ich nicht entdecken, aber Hauptsache ich konnte etwas tun.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit, es waren sicherlich nur ein paar Stunden gewesen, kam die erlösende Nachricht über Funk. “Ich hab ihn, ich hab Engel!”, rief Mütze aufgeregt. Er war beim Shoppingcenter und hatte dort zufällig Engel entdeckt. Mütze packte ihn ins Auto und raste zurück zum Haus der Katze. Engel war ziemlich durch den Wind. Nervös, verängstigt, mitgenommen. Nach einer stürmischen Begrüßung durch die Katze und einer kurzen Untersuchung auf äußere Verletzungen, nahm Engel mich beiseite.

„Kann ich dir das unter ärztlicher Schweigepflicht erzählen?“, fragte er, während er sich mit einer Hand immer wieder hektisch durch die Haare fuhr und dazwischen seine Finger gegenseitig verknotete, um die Anspannung abzubauen. Ich überlegte nur kurz. Ich war zwar nicht im Dienst, doch wenn es Engel anscheinend wichtig war, sich jemandem anzuvertrauen, dann war ich für  ihn da. „In Ordnung. Dann stehe ich jetzt gerade in meiner Funktion als Notfallsanitäterin vor dir.“, stimmte ich zu. 

 

Engels Bericht erschütterte mich. Was hatte der Arme bloß durchmachen müssen? Sie hatten ihn gefesselt und mit einer Augenbinde auf die Ladefläche eines Pickups verfrachtet. In einer heruntergekommenen Hütte im Norden wurde ihm die Augenbinde abgenommen. „Sie können sich denken, was wir wollen.“, so wurde er begrüßt. Sie hielten ihm eine Waffe an den Kopf und forderten Informationen. Jedesmal, wenn Engel länger zum Antworten brauchte, kam die Waffe näher. Er musste alles sagen, was er wusste. Selbst wenn er lügen wollte, oder sagen wollte, er wisse es nicht: sie hatten immer ein Druckmittel. Die Katze. Und in weiterer Linie auch uns als Freundeskreis. 

 

Am Ende des Verhörs musste er noch vor seinen Entführern auf die Knie gehen und sich entschuldigen. Dazu hatte einer der Täter seine Maske abgenommen. Es war der Anführer der schwarzen Hyänen höchstpersönlich, mit denen sich Engel schon zuvor ein wenig angelegt hatte. Wie sollte man es am ehesten umschreiben: Engel hatte eben manchmal eine große Klappe und scheute sich nicht, mit Wörtern zurückzuschießen, wenn ihm jemand blöd kam. So hatte sich das gegenseitig aufgewiegelt und nun hatten die Hyänen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einem konnten sie Informationen erpressen und zum anderen konnten sie sich an Engels Wehrlosigkeit und Angst ergötzen und ihre persönliche Rache nehmen.

 

Während des Berichtens versagte immer wieder Engels Stimme, er war noch völlig im Geschehen gefangen. Sie hatten ihm eine offizielle Variante der Entführung genannt, die er gegenüber uns und der Polizei erzählen sollte. Es sei alles nur eine Verwechslung gewesen und er habe keinen erkannt. Sollte er die Täter verraten, würde die Katze verschwinden – und nicht zurückkehren.

 

Ich konnte nur versuchen, mir vorzustellen, was für ein enormer Druck auf ihm lastete. Er wusste um die Gefahr, hatte sie hautnah miterlebt und nun Angst. Nicht nur Angst um das eigene Leben, nein, vor allem Angst um die Katze. Und mit jedem Wort, das er zu viel redete, brachte er sie näher zum Tod. Doch mit jedem Wort, das er nicht redete, brachte er sie gleichzeitig weiter weg von sich. Denn natürlich merkte die Katze, als er mit ihr sprach, dass er log. Sie war sich schließlich sicher, wer die Täter gewesen sein mussten, denn kurz zuvor hatte sie Goldregen in der Nachbarschaft herumlaufen sehen, in einer gestreiften Leggins. Goldregen war eine junge Dame, die Mitglied bei den schwarzen Hyänen war, und mit der die Katze eigentlich ganz gut befreundet war. Eigentlich. So wie Goldregen eigentlich eine sehr hübsche Pflanze ist. Jedoch hochgitftig.

Dieselbe gestreifte Leggins trug eine der maskierten Personen bei dem Überfall im Garten der Katze, und das musste Engel doch schließlich auch bemerkt haben, so die Katze. Aber Engel blieb dabei. Es sei lediglich eine Verwechslung gewesen.

 

Die Polizei traf überraschenderweise doch noch beim Haus der Katze ein. Sie befragten die Katze, Mütze und die Lilie, übersahen Engel aber völlig. Vielleicht lag es daran, das einer der Beamten vermutlich viel zu wenig getrunken hatte, kurz ohnmächtig wurde und die Rettung kommen musste. Die Katze äußerte ihre Vermutung, das die schwarzen Hyänen hinter der Entführung steckten. Ich überlegte verzweifelt, wie ich sie in ihrem Verdacht bremsen sollte. Wenn nun die Polizei tatsächlich einige der Hyänen dafür verhaften würde, dann wäre doch sicher klar, von wem der Hinweis kam. Dann wäre die Katze nur noch mehr in Gefahr. Eine Einzelperson zu fassen und zu Rechenschaft zu ziehen, das wäre leicht. Doch sich mit einer ganzen kriminellen Gruppierung anzulegen, das würde Kreise nach sich ziehen, die ich mir nicht vorzustellen vermochte. Trotzdem, einfach unter den Tisch fallen lassen konnte ich die Sache auch nicht, schon allein wenn ich an Engel dachte, wie er zitternd vor mir gestanden hatte und von der Entführung berichtet hatte. Die Katze und Engel waren gute Freunde von mir, nein: Sie waren meine neue Familie. Und wenn einem einmal die Familie genommen wurde, dann entwickelt man einen unfassbar starken Beschützerinstinkt für die Menschen, die einem noch geblieben sind.

 

Engel erleichterte mir die Angelegenheit erheblich, indem er dann doch sein Schweigen brach. Er erzählte zunächst uns, also der Katze, Lilie, Mütze und mir, den wahren Ablauf. Die Katze war entsetzt. Vor allem von der Tatsache, das nun hunderprozentig bestätigt war, das Goldregen beteiligt war. Sie hatte sogar, ebenso wie der neue Anführer der Hyänen, ihre Maske vor Engel abgesetzt und sich zu erkennen gegeben. Der Verrat saß tief, die Katze blockierte Goldregen und vermied jegliche Begegnung mit den schwarzen Hyänen. Die Zeugenaussage von Engel wurde nachgeholt, dazu trafen wir uns im AX Media Hauptquartier, dem einzigen Ort, an dem sich die Katze und Engel noch halbwegs sicher fühlten. Wir blieben den restlichen Tag dort, denn die Polizei startete eine Aktion und immer wieder streifte draußen der bedrohliche Pickup der Hyänen umher. Für eine Weile war auch der weiße Tiger vor Ort, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Er hatte uns vor den schwarzen Hyänen gewarnt, doch ich hatte nur halbherzig zugehört. Ich hatte lange geglaubt, dass man, wenn man respektvoll miteinander umging, keine Probleme mit den Hyänen haben würde. Dass sie die Katze auf ihrem eigenen Grundstück überfallen und einen unserer Freunde entführen würden, das hätte ich ihnen niemals zugetraut.

 

Ob der Einsatz der Polizei erfolgreich war, erfuhren wir nie. Die Katze durfte nicht mehr in das Haus ihrer Oma und hatte nach wie vor Angst. Die Lilie versuchte allmählich, wieder diplomatischen Kontakt zu den Hyänen aufzunehmen, ohne sich anmerken zu lassen, das wir wussten, was sie getan hatten. Die Katze konnte das überhaupt nicht verstehen. Man hatte ihren Freund entführt, sie überfallen und eine Drohung gegen uns alle ausgesprochen. Mit solchen Leuten wollte sie nichts mehr zu tun haben. Ich stand irgendwo dazwischen. Den Plan der Lilie fand ich gut, waren die Mittel der Polizei doch begrenzt und solche Seiltänzer wie sie, die überallhin ihre Kontakte pflegten, konnten im Zweifel lebensrettend sein. Äußerlich gab ich mich unwissend, doch innerlich hatte ich den schwarzen Hyänen noch lange nicht vergeben und würde es wohl erst tun, wenn auch die Katze und Engel bereit dazu wären.

 

Um der Katze ein wenig die Angst zu nehmen, überlegten wir uns Sicherheitsmaßnahmen. Die ersten Tage nach dem Ereignis war keiner allein unterwegs. Zu dritt gingen wir Frauen zum Friseur und ließen uns die exakt gleiche Frisur mit der gleichen Haarfarbe machen. Dann wurde dreimal derselbe dunkelgrau karierte Wintermantel gekauft, dazu ein passender Pullover und unpraktisch weiße Schuhe. Die Schuhe waren die Wahl der Katze, ich persönlich hätte sie nie freiwillig getragen. Wer auch immer weiße Schuhe erfunden hatte, musste sein ganzes Leben innerhalb seiner vier Wände verbracht haben. Denn unterwegs im Alltag verwandelte sich das strahlende weiß in sekundenschnelle zu einem schmutzigen hellgrau.

Von hinten waren wir nun nicht mehr auseinander zuhalten, von vorne nur noch sehr schwierig. Wer auch immer es nun versuchen sollte, die Katze zu entführen, würde entweder Glücksspiel oder den dreifachen Aufwand betreiben müssen.

 

Realistisch betrachtet waren unsere Versuche, Sicherheit herzustellen, wohl sehr lächerlich. Immerhin hatten sie einen psychologischen Effekt und die Hyänen sahen, das wir zusammen hielten. Obwohl es in unserer Freundesgruppe durchaus zu Diskussionen kam. War Engel wirklich so unschuldig an dem Ganzen? Hatte er es nicht gewissermaßen provoziert? Wusste er mehr, als er zu gab? Besonders der Navigator hegte seine Zweifel gegen Engel. Ich hatte mich längst für eine Seite entschieden und mich entschlossen, alles zu tun, um meine Freunde vor den Hyänen zu beschützen. Wie so oft griff ich zum Kugelschreiber, um meine Gefühle festzuhalten, und damit mein Gedicht auch beim Empfänger ankam, veröffentlichte ich es, jedoch anonym. Es sollte schließlich nur eine unterschwellige Warnung sein, keine öffentliche Kampfansage. Meinen Künstlernamen wählte ich bewusst, Merimna, auch wenn ich nicht damit rechnete, das jemand die Bedeutung erfassen würde. Das Gedicht handelte von dem, was ich in mir fühlte, vom plötzlich erwachten Löwenmutterherz:

Löwenmutterherz

Hör, das Brüllen der Löwin.
Wie sie durch die Großstadtsavanne schleicht
und zwischen den Häuserschluchten streift.
Wer hat es gewagt, sie geweckt?

Sie, die Ruhige, die Stille, die Sanfte,
die ihre Krallen nur tief und verborgen
in ihrer weichen Pranke trägt
und die lieber selbst wird geschlagen,
bevor sie jemanden schlägt.

Doch wehe, du raubst ihr ihr Junges.
Dann erwacht ihre Löwenmutterherz.
Das tief in ihr schlummert, und wartet,
bereit und gerüstet zum Kampf und geschürt von dem Schmerz,
den die schwarzen Hyänen dem Löwenkind bringen.
Dann endet das Schweigen.

Ihr Auge ist wachsam, die Ohren gespitzt
Sie wittert Gefahr für ihr Junges,
das kostbarste, was sie im Leben besitzt,
und was sie mit diesem verteidigt.
Denn dafür schlägt in ihr ein machtvolles Herz,
das Frieden wahrt, solange es geht,
doch ist es zu spät,
dann scheut es vor nichts.

Mit sicheren Schritten setzt sie ihre Pfoten
ungerührt auf heißen Asphalt.
Sie weiß es, zu spielen,
sie weiß, sich zu geben
und äußerlich zeigt sie sich kalt.
Sie kennt ihre Wege,
sie deutet die Zeichen,
sie wird auch vor Aasadlern nicht weichen,
wenn sie um ihr Junges Kreise ziehen.

Vermutlich haben die Hyänen nie begriffen, dass es um sie ging. Doch das machte nichts, es würde nicht mein letztes Gedicht sein.