Dieses Audio wurde gesprochen von: Vivi
KAPITEL 5
Impulsiv und Rücksichtsvoll
Eine neue Eskalation mit Hansen. Wir standen mit dem RTW bei Wien Mitte, hatten nichts zu tun und ich weiß bis heute nicht, wie es dazu gekommen ist, derart zu eskalieren. Unser Praktikant tippte auf dem Handy, plötzlich stolperte er und schubste Hansen aus Versehen leicht, und Hansen reagierte, eben typischerweise, indem er zurückschubste. Statt das nun einer der beiden aufhörte und sich entschuldigt, schaukelte sich das ganze hoch. Auf mich hörte schon lange keiner mehr. Als ich versuchte, dazwischenzugehen, bekam ich selber eine Faust ins Gesicht. Schließlich ging der Praktikant nach einem kurzen Handgemenge zu Boden und verlor zeitweise das Bewusstsein.
Ich war sauer. Ich bin wirklich selten sauer, aber in dem Moment war ich einfach derart wütend. Wie konnte es denn sein, dass sich zwei Mitarbeiter der Berufsrettung in aller Öffentlichkeit gegenseitig niederschlugen?
Um das ganze zu klären, wollte ich zurück ins AKH fahren, damit die Gemüter abkühlten, ohne neugierige Blicke von Passanten. Doch stattdessen schlug Hansen als Fahrer den Weg zum nächsten Einsatz ein.
Ich war fassungslos. Ich würde doch jetzt sicher nicht mit zwei Leuten, die sich gerade bewusstlos geprügelt hatten, einfach zum nächsten Einsatz fahren, als sei nichts gewesen. Jedoch wollte Hansen immer noch nicht auf mich hören, auch nicht, als ich durchfunkte und fragte, wer gerade der Höchstrangige im Dienst war. Schlussendlich stieg Hansen bei der nächsten Kreuzung einfach aus und ging davon. Ich fuhr frustriert mit meinem Praktikanten zurück zum AKH.
Kurze Zeit später wurden wir zu einem Verkehrsunfall gerufen. PKW gegen Wand. Eine verletzte Person. In der Uniform der Berufsrettung. Notarzt bereits vor Ort, Polizei ebenfalls. Ein Polizist quatschte mich von der Seite an. Ob ich die Frau Scharfenstein wäre. Ihm hätte jemand erzählt, ich sei schuld am Unfall, weil ich den Kollegen dort am Boden gemobbt hätte. Ich überhörte das ganze, hatte keine Zeit, mich um diesen Vorwurf zu kümmern, hatte nur Augen für Hansen, der dort bewusstlos am Boden lag. Zudem war ich viel zu aufgebracht. Wütend vor Sorge, wütend, weil ich erst gestern mit ihm geredet hatte, dass ich Angst davor hatte, ihn zu verlieren. Und nun brachte er sich mit seinen dummen Kurzschlussreaktionen dermaßen in Gefahr.
Es sah übel aus, doch Hansen überlebte. Kaum war er in seinem Krankenhausbett wieder bei Bewusstsein, erklärte er seine Kündigung. Zum Glück meinte der anwesende Oberarzt, er nehme Kündigungen nur schriftlich an und so blieb es bei einer kurzen Zwangspause.
Trotz seiner Unüberlegtheit konnte Hansen sehr wohl auch rücksichtsvoll sein. Nachdem er von meinem Feuerproblem gewusst hatte, achtete er sehr darauf, dass ich bei entsprechenden Einsätzen Abstand halten konnte. Wenn es zu stressig wurde, hatte er immer ein paar Kopfhörer dabei, sodass ich im Fahrzeug sitzen bleiben und Musik zur Ablenkung hören konnte. Er fragte, wie es mir ging, ob es mir zu viel wurde. Und gleichzeitig übte er mit mir, mich dem Feuer wieder zu nähern und mir klarzumachen, dass ein kleines Lagerfeuer und ein Haus in Vollbrand ein großer Unterschied waren und ich in sicherer Entfernung vor keinem von beidem Angst haben musste.